Artikel von Svenja Sempach

Was kann ich gut? Was macht mir Spass? Was braucht es gerade wirklich in der Welt?

Ein Interview mit Theresa Leisgang

Theresa Leisgang fotografiert von Ronja Polzin

Theresa Leisgang ist freie Journalistin, Autorin und Organizerin – sie wohnt in einem Gemeinschaftsprojekt am Rande von Berlin. Theresa berichtet seit zehn Jahren über die Verbindungen zwischen Menschenrechten und Klimakrise und setzt ihre Expertise in Kommunikation und Organisationsentwicklung für unterschiedliche Projekte ein. Die Energie weiterzumachen, auch wenn Vieles in der Welt aussichtslos erscheint, findet sie in kollektiven Räumen: Sonntags in einer Kirche und Dienstags auf Zoom mit den Kolleg:innen aus dem Journalismus.  Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Netzwerk Klimajournalismus in Deutschland, das Journalist:innen Raum bietet, sich zu inhaltlichen und redaktionellen Fragen auszutauschen. Wir sind durch ein weiteres journalistisches Projekt auf sie aufmerksam geworden: Das Klimalabor der Republik, bei welchem sie bis letzten Sommer in der Formatentwicklung für «Challenge Accepted» und im Community-Management tätig war.

Als freischaffende Journalistin arbeitet sie für Aufträge verschiedener Medienunternehmen. Die Arbeit an Artikeln sei jedoch «nicht mehr so im Fokus, wie noch vor ein paar Jahren», wie Theresa sagt. Denn sie beschäftigt sich momentan in erster Linie mit der Frage: «Wie kann ich systemischen Wandel schaffen – also: andere Medienschaffende dabei unterstützen, qualitativen Klimajournalismus zu produzieren?»

Im Journalismus könnte man über jedes Thema schreiben, wie bist du Klimajournalistin geworden?
Seitdem ich an der Uni war, habe ich sehr viele Kurse zu politischer Ökologie, am geographischen Institut und im Bereich der Anthropologie  besucht. Der Kurs an der Uni in Heidelberg zum Thema «Global Collapse», der wichtige Dynamiken zum Thema der Klimakrise aufzeigte, war für mich wegweisend. Da habe ich bemerkt, dass ich nicht weiter im akademischen Betrieb arbeiten möchte. Vielmehr interessierte mich, wie die wissenschaftliche Forschung Gehör in der Gesellschaft findet und ich habe begonnen, für dieses Ziel zu arbeiten.

Was interessiert dich daran?
Mich interessiert, was es in der Kommunikation wissenschaftlicher Fakten braucht, damit die Tragweite der Klimakrise und die Situation, in der wir uns befinden, in der Gesellschaft seine Wirkung findet. Denn obwohl die Informationen dazu verfügbar sind, gibt es viele Menschen, die sich nicht damit auseinandersetzen. Bemerkenswert ist, dass die 1.5-Grad-Marke Anfang Februar 2024 ein Jahr lang überschritten wurde. Das heisst, das Jahr 2023 war wärmer , als im globalen Klimaabkommen angestrebt worden ist. Die Reaktion auf diese Medienmitteilung war beachtlich gering. Das Thema wurde auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung gezeigt, doch das gesellschaftliche Echo blieb aus. 

Welche Rolle nimmst du als Klimajournalistin wahr und welche Herausforderungen bringt diese Rolle?
Ich glaube, dass lange Zeit nicht klar war, dass Menschen, die über die Klimakrise berichten, eine Art «first responder» sind, wie man sonst in Krisensituationen im Kriegskontext sagen würde.

Ein prägendes Erlebnis hatte ich in Ecuador, wo ich auf Recherche war. Dort werden in den indigenen Gebieten grosse Mengen an Öl abgebaut und es wurde die grösste Umweltklage der Welt gegen US-Ölkonzerne eingereicht. Grund dafür ist die Feststellung, dass die Krebsrate in diesen Gebieten hoch ist. Das Risiko für Frauen, Männer und Kinder, an Hautkrebs oder Leukämie zu erkranken, ist deutlich erhöht. Doch weil die Kausalität zwischen den häufigen Erkrankungen und den gesundheitsschädlichen Ölbohrungen nicht einfach nachweisbar sind – und das Gesundheitsministerium nicht einmal Daten erhebt –, gibt es dort aktuell keine Hoffnung auf Veränderung.

Solche Momente der Recherche vor Ort liessen mich realisieren, dass meine Betroffenheit der Klimakrise eine ganz andere ist. Da ich solche Notlagen von Menschen anderenorts miterlebt habe, beschäftigt es mich, wie ich  in meiner privilegierten Position meiner Verantwortung gerecht werden kann.

Ich hatte auch depressive Phasen, als ich mich mit der Tragweite der Zerstörung auseinandergesetzt habe. Ich würde es allerdings nicht Klimaangst nennen, besonders aus der Erkenntnis heraus, dass es Menschen gibt, die schon jetzt viel stärker davon betroffen sind.

Durch deine journalistische Arbeit  warst und bist du oft unterwegs. Wie einfach sind da Arbeit und Freizeit im Beruf voneinander zu trennen?
Auf Recherchen gibt es fliessende Übergänge von Beruf und Privatleben. Einerseits bin ich als Journalistin vor Ort, um über das Thema zu berichten und andererseits bin ich Erdenbürgerin und lerne neue Menschen und deren Geschichten kennen. Mit vielen Menschen, deren Geschichten mich sehr bewegt haben, bin ich bis heute in Kontakt.

Was macht dir an deiner Arbeit Freude?
Wenn meine Arbeit eine Auswirkung hat, ist dies sehr befriedigend. Ein Beispiel dafür ist ein Artikel, den ich zu Mosambik geschrieben habe. Dieser wurde von einer Stiftung gelesen, die jetzt das  Aufforstungsprojekt, über das ich berichtet habe, mit 120'000 Euro über drei Jahre hinweg unterstützt. Zuvor haben sich im Dorf einige Menschen ehrenamtlich engagiert, nun kann ein Projekt durchgeführt werden, bei dem zwölf angestellte Personen mitwirken. Das ist wahrscheinlich der grösste Impact, den meine Arbeit jemals hatte: So viele Bäume, die in der Zeit gepflanzt werden, macht kein veganes Schnitzel wett.

Du warst für deine Recherchen viel auf Reisen, du bist gemeinsam mit Raphael Thelen von Südafrika bis in die Arktis zu den  Schauplätzen der Welt gereist, die direkt von der Klimakrise betroffen sind. Welche Eindrücke dieser Recherchen sind dir besonders geblieben und was hast du davon mit nach Berlin genommen?
Ich habe vor allem eine persönliche Verbindung zu den Menschen gespürt, weil ich dort den gemeinschaftlichen Zusammenhalt miterlebt habe, der zum Beispiel ein Jahr nach der verheerenden Sturmkatastrophe in Mosambik noch lebendig war.

Die Bildstrecke von Theresa Leisgang zeigt Eindrücke von ihrer Recherche in Mosambik. Auf den Bildern ist die Dorfbewohnerin Antonia vor ihrem einstigen Haus zu sehen. Nur die uralten Mangobäume an der Dorfstrasse haben dem Sturm standgehalten.

In Krisenzeiten halten die Menschen zusammen. Das spüre ich auch selbst: Wenn es mir schlecht geht, hilft mir am meisten der Zusammenhalt in meiner Gemeinschaft. Wenn ich nicht alleine mit schwierigen Gefühlen umgehen muss.  Das ist jetzt auch Teil der Arbeit, die ich hier in Berlin in der Church of Interbeing mache. Diese Arbeit passiert auf einer anderen Ebene als der faktische Klimajournalismus. In diesem Projekt geht es darum, einen Umgang damit zu finden, dass die Welt sich im Umbruch befindet. Dass wir in der Klimakrise lernen müssen, uns Gefühlen wie Trauer und Ohnmacht zu stellen. Dafür braucht es Räume.

Die Pfarrer:innen der Genezarethkirche in Berlin-Neukölln geben uns jeden Sonntagmittag den Altarraum, um damit zu experimentieren, wie solche Ritualräume in der heutigen Zeit aussehen, in der die Institution Kirche für viele junge Leute an Bedeutung verliert. Dort dürfen wir also Veranstaltungen durchführen, die nicht direkt in Verbindung mit Religion stehen, sondern sich in erster Linie um den Gedanken der Gemeinschaft drehen: Das sagt schon der Name «Church of Interbeing». Denn einer solchen Komplexität von Krisen können wir nur gemeinsam gegenüberstehen. Wie die Schriftstellerin Margaret Wheatley einmal so schön gesagt hat: «Whatever the problem, community is the answer». Ein Zitat, das mich seit Langem begleitet.

Die Eindrücke deiner Reisen hast du unter anderem im Buch «Zwei am Puls der Erde» festgehalten. Kannst du uns mehr zum Buch und dem Schreibprozess erzählen?
Eine Sache, die ich auf dieser Reise auf jeden Fall gelernt habe, ist mein Platz in dem Ganzen zu finden. Also zu sehen, wo ich etwas verändern kann, wo ich später sagen kann: Ich habe alles versucht, was in meinen Möglichkeiten steht, um zu einer Besserung beizutragen.

 Das Buch war eine Möglichkeit, sich nach diesen vielen Eindrücken Zeit zu nehmen und die Erkenntnisse zusammenzuschreiben. Nach dem Schreibprozess merkte ich jedoch auch, dass ich den Ausdruck nicht mehr so stark im Schreiben suche, sondern den gewonnenen Überblick anders mit Leuten teilen will.

Mein Kollege Raphael Thelen, Mitautor des Buches, und ich haben uns auch oft gefragt: Warum wird so viel über Co₂ und Zahlen gesprochen und weniger über die psychischen Auswirkungen und was es bräuchte, um mit der Klimakrise einen gesunden Umgang zu finden. So wie auch Platz für schwierige Gefühle zu schaffen. Eine Antwort darauf habe ich teils in der Arbeit, die ich momentan in der «Church of Interbeing» in Berlin mache, gefunden. Räume zu öffnen für Trauer, die wir sonst gar nicht haben. Es geht auch darum, anzuerkennen, dass Vieles vergehen wird. Mir ist es wichtig, das nicht zu verdrängen, sondern eine Kultur zu schaffen, in der wir der Trauer Platz machen.

In diesem Bewusstsein und angesichts der Veränderungen, die unweigerlich auf uns zukommen werden, wie blickst du in die Zukunft?
Dieses Paradigma, von etwas retten wollen, habe ich losgelassen. Gleichzeitig gibt es nicht die Option aufzuhören, das habe ich von denen Gemeinschaften gelernt, die durch die Auswirkungen der Klimakrise mit einer ganz anderen Realität konfrontiert sind.

Hoffnung ziehe ich aus der Einsicht, dass es sich immer lohnt, das Richtige zu tun, auch wenn alles schlimmer wird. Jedes Zentel Grad macht einen Unterschied, in welcher Welt mein kleiner Neffe leben wird. Aber auch, ob ich als Tante Zeit finde, mit ihm Himbeeren zu pflücken, oder ob ich nur arbeite. Kurz: Die Dringlichkeit aktiv zu werden ist nach wie vor da, aber für mich als Einzelne ist es wichtig, mir diese Dringlichkeit nicht aufzuerlegen und nicht in ein ungesundes Stresslevel steigen zu lassen.

Ich sehe, dass sich die Dinge langsam ändern. Und ich lege die Priorität darauf, mich jeden Morgen aufs Neue zu fragen:

Wofür setze ich heute meine Lebensenergie ein?

Was kann ich heute tun? und

Was macht mir Freude?