Konstruktiver Journalismus

Innovation oder altbekanntes Konzept?

Artikel von Alicia Göldi

Konstruktiver Journalismus. Ja - aber ist das nicht sowieso der Anspruch, den wir an unseren Journalismus haben sollten? Während meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit dem konstruktiven Journalismus über die Klimakrise, dessen Definition und Abgrenzung  befasst. Sagen wir es mal so: Ich war ziemlich überzeugt von dieser «neuen» Journalismus-Form. Und eigentlich bin ich es noch immer, aber bedingt. Wobei «neue» Journalismus-Form vielleicht ein bisschen übertrieben ist. Bereits 2015 titelte der SRG Insider: «‹Constructive Journalism: Good News› ist im Trend.» 

Themen wie die Klimakrise eignen sich besonders für eine konstruktive Berichterstattung, die nicht nur Probleme beleuchtet, sondern auch Lösungen aufzeigt. Das zeigen die Merkmale des konstruktiven Journalismus:

  • Ausgewogenheit in der Berichterstattung: Ein Gleichgewicht zwischen negativen und positiven Nachrichten. 

  • Lösungsorientierung: Vorstellung von praktischen Lösungen und Best-Practice-Beispielen.

  • Zukunftsaussichten: Beantwortung von Fragen wie  «Wie geht es weiter?»  oder  «Was nun?» .

  • Leser:innenbeteiligung: Förderung der Teilnahme durch direkte Ansprache, Call to Actions und lokalen Bezug, um Dialog und Diskussion anzuregen.  

  • Kontextualisierung: Erläuterung der Ursachen, beteiligten Akteur:innen und langfristige Auswirkungen.

Der dänische Journalist Ulrik Haagerup, ein Befürworter des konstruktiven Journalismus, gründete das Constructive Institute und schrieb das Buch Constructive News. Als ich das Buch von Haagerup gelesen habe, verstand ich seine Ansichten und Argumente für den konstruktiven Journalismus und dass wir den Journalismus neu denken müssen. Wir leben schliesslich in einer Welt voller Krisen und Katastrophen. Kriege, Klimakrise und in einer immer mehr polarisierenden Gesellschaft. Da können Leser:innen schnell in eine News Fatigue gelangen. 

Professorin Ellen Matthies beschreibt im Modulhandbuch Empowerment für Klima & Co. – mit den Inner Development Goals, dass das Bescheid-Wissen über die verschiedenen Katastrophen allein noch nicht ausreicht, um ins eigene Handeln oder in die Problembewältigung zu kommen. 

Laut Matthies kommen wir, wenn wir optimistischer gestimmt sind, schneller in eine Phase des Handelns. Eine optimistische Haltung wird durch den Dauerkonsum von negativen Nachrichten stark erschwert.

Also ihr versteht schon, ich finde das Buch Constructive News grundsätzlich gut und gleichzeitig stellt sich mir die Frage: Ist der konstruktive Journalismus eine «neue, andere» Journalismus-Form, die es bisher noch nicht gab? Eigentlich finde ich nicht. 

Es war doch schon immer die Aufgabe von Journalist:innen, die Realität so gut wie möglich abzubilden. Es war doch schon immer logisch im Journalismus, dass wir die Themen, über die geschrieben werden, in einen Kontext stellen, dass wir den Leser:innen transparent machen, wenn Unwissen vorhanden ist. Und ich will damit nicht sagen, dass diese Forderungen nicht schon (teils) längst umgesetzt werden. Aber ich denke, wir haben trotzdem noch Potential. 

Dennoch, der konstruktive Journalismus hat auch seine Kritiker:innen. Zurecht. Es sei nicht die Aufgabe von Journalistinnen, Lösungen zu präsentieren. Das sei aktivistisch, PR und wird deswegen den Qualitätskriterien des Journalismus nicht gerecht. Darüber lässt sich streiten. 

Gerade zum Beispiel über die Klimakrise gibt es viele konstruktive Formate. Die Krise eignet sich gut, um Lösungen darzustellen, Best Practice Beispiele zu erwähnen, Mut zu machen und die Menschen positiv zu aktivieren. Denn in der Diskussion um die Klimakrise schwingt oft ein Gefühl der Unsicherheit mit.
Für mich ist entscheidend, wie Lösungen oder mögliche Handlungsoptionen dargestellt werden. Sind sie sauber ausgewählt, lassen sie sich begründen und werden alle Legitimationen genauso dargelegt? Einmal mehr finde ich, braucht es Transparenz und eine saubere Recherche mit vertrauenswürdigen Quellen.

Ich habe mich gefragt: Was halten andere Journalist:innen vom konstruktiven Journalismus? Deshalb haben wir für die erste Ausgabe von magaziM einige von ihnen befragt. Hier sind ihre Stimmen:

Theresa Leisgang unterstreicht den Wert eines lösungsorientierten Ansatzes in der Berichterstattung über die Klimakrise, ohne dabei die kritische Analyse ausser Acht zu lassen und äussert Bedenken an einer Verzerrung der Realität durch ausschliesslich positive Nachrichten. Sie wünscht sich eine Berichterstattung, die den Leser:innen hilft, ihre Rolle in Zeiten globalen Umbruchs zu verstehen. Theresa betont, dass es wichtig ist, Lösungen darzustellen. Doch auch die Herausforderungen und systematischen Probleme, die deren Umsetzung erschweren, müssen beleuchtet werden. Sie kritisiert, dass eine einseitig positive Berichterstattung in einer journalistischen Form von «Greenwashing» enden könnte, und spricht sich für eine Berichterstattung aus, die auf fundierten Analysen beruht und realistische Hoffnungen vermittelt.

Flavia von Gunten sieht im konstruktiven Journalismus eine Chance, den Menschen Standfestigkeit zu geben und sie vor einer Newsdeprivation zu schützen. Sie bemerkt, dass konstanter Konsum von negativen Nachrichten sie selbst belastet:  «Das zieht mich runter», erwähnt sie. Flavia argumentiert, dass Berichte über positive Entwicklungen zu einem ausgewogeneren und daher realitätsgetreueren Weltbild beitragen können.

Julian Schmidli sieht die Rolle des Journalismus vor allem in der kritischen Begleitung und Überprüfung bestehender und neuer Lösungsansätze. Er ist der Meinung, dass die Entwicklung neuer Lösungen eher in den Bereich der Wissenschaft und Politik fällt. Er sieht seine Aufgabe darin, bestehende Lösungsansätze kritisch zu hinterfragen und die Entwicklung neuer Ansätze auf ihre versprochenen Ergebnisse hin zu überprüfen.

Alex Tiefenbacher äussert sich zwiespältig zum konstruktiven Journalismus. Sie anerkennt die Argumente dafür, hält es aber für sehr wichtig, Probleme offen und ehrlich anzusprechen. Sie ist der Meinung, dass Journalismus nicht in psychologische Betreuung abdriften sollte und betont, dass es nicht die Hauptaufgabe von Journalist:innen sei, Menschen zu motivieren oder Hoffnung zu geben. Ihre Priorität liege in der kritischen Recherche im so genannten «Watchdog-Journalismus», der wichtige Aspekte wie die Überwachung von Unternehmensaktivitäten und das Aufdecken von Gesetzeslücken umfasst.

Und was ist mein persönliches Schlusswort? Ich finde, dass die Prinzipien des konstruktiven Journalismus durchaus wertvoll sind, auch wenn sie nicht wirklich neu sind. Sie fordern uns auf, bestehende journalistische Praktiken zu überdenken und auf eine Weise zu gestalten, die nicht nur informiert, sondern auch inspiriert und motiviert. In einer Zeit, in der Skepsis schnell aufkommt, schafft der konstruktive Journalismus eine positive Perspektive. Er bringt Hoffnung, muss dabei aber ehrlich bleiben.