«Eifach mache»

Flavia von Guntens Erfolgsweg im Journalismus

Artikel von Alicia Göldi

Ein Porträt über Flavia von Gunten

Schon mit 14 Jahren entdeckte Flavia von Gunten ihre Begeisterung für Geschichten, die sich hinter alltäglichen Dingen verbergen. Am Flohmarkt auf dem Mühleplatz in Thun entdeckte sie eine Schallplatte, die sie sofort kaufte. Ihre Freude war gross, als sie in ihrem Zimmer die Platte auflegte. Die Klänge erfüllten den Raum, während sie den Duft von Nostalgie einatmete, den sie so mochte. Sie beschloss, ihren Fund und ihre Gedanken dazu in Worte zu fassen und schrieb sie in Form einer Kolumne nieder und publizierte ihren ersten Beitrag für Pfeffer, die Jugendseite des Thuner Tagblattes. Zumindest ist es die erste journalistische Publikation, an die sich Flavia erinnert, geschrieben und veröffentlicht zu haben.

Heute ist Flavia 26 Jahre alt. Sie wohnt in Bern und schloss ihr Masterstudium in Jus im Januar 2024 ab. Nebenbei arbeitet sie seit 2021 als Journalistin bei der Redaktion Hauptstadt in Bern. Wobei Flavia bei dieser Aussage etwas zögert. Sie ist sich nicht sicher, ob sie studierte und nebenbei Journalistin war oder umgekehrt. Flavia begann schon früh alles rund um geschriebenes Wort und Geschichten zu erkunden. Durch ihre Neugierde und ihr Wissensdurst fand sie im Journalismus eine Antwort, um ihren vielen Fragen an das Leben nachzugehen. So wurde Journalismus zu ihrem Hobby. Als Teenagerin suchte Flavia nach verschiedenen Orten, um ihre Texte zu publizieren. Sie schrieb Artikel für den NZZ-Campus und für die Rubrik Ein Tag im Leben des TagiMagi. Von den Jugendseiten ging es weiter zur Freelancerin des Thuner Tagblatt

Mit dem Start des Germanistik Studiums zog es Flavia nach Bern. Sie wechselte zu der Berner Zeitung, die zum selben Verlag wie das Thuner Tagblatt gehört. Zuerst angestellt als Freelancerin, später arbeitete sie als Festangestellte im Kulturressort, während sie weiterhin studierte. «Journalismus hatte immer mehr Priorität. Ab und zu ging ich noch ein bisschen an die Uni.» Das Germanistikstudium wurde immer weniger und das journalistische Arbeiten immer mehr. Obwohl Flavia die präzise Sprache sehr mag, wurde sie im Germanistikstudium nie richtig glücklich. So entschied sie sich für einen neuen Weg und immatrikulierte sich im Jura-Studiengang. 

Flavia von Gunten, Foto von: Manuel Lopez

Von Germanistik zu Recht – Journalismus blieb immer Teil
Journalistin war nie das Berufsziel von Flavia. «Ich habe nie daran gedacht, dass ich mit Journalismus mein Leben finanzieren könnte.» Vielmehr verband Flavia die journalistische Arbeit mit Freude. Es habe sich für sie nie so angefühlt wie Arbeiten.
Journalismus zu studieren war trotzdem nie eine ernsthafte Option. Dies lernte sie ohnehin «On the Job» und sammelte bereits wertvolle Erfahrung. Flavia entschied sich, Jura zu studieren. Aus Interesse und weil ihr bei fast jedem Artikel ein rechtlicher Bezug aufgefallen ist. Geht es um Recht, geht es um die Frage der Organisation der Gesellschaft, deren Regeln und Veränderungen und darum, Gerechtigkeit zu finden. Fragen, denen Flavia gerne nachgehen und ihr Wissen vertiefen möchte.  

Flavias Karriereweg ist beachtlich und von vielfältigen spannenden Erfahrungen gezeichnet. Auf ihre derzeitige Stelle kam sie 2021 durch eine Anfrage von der Redaktion Hauptstadt. Ein neu gegründetes Journalismus-Format in der Stadt Bern. Unabhängig, ohne Profitstreben und von den Leser:innen finanziert. Zwölf Köpfe arbeiten im Moment für das Medium. Flavia war über die Anfrage überrascht, bewarb sich jedoch gerne und erhielt danach die Zusage. 

Als wir Flavia fragen, wie sie auf die anderen Stellen gekommen ist, überlegt sie kurz. Oftmals sei es schon Eigeninitiative gewesen. Sie suchte nach passenden Stellen, damit sie  ihrer Passion für das Schreiben nachgehen und ihre Texte veröffentlichen konnte. Ihre Eltern hatten das Thuner Tagblatt abonniert, dort sah sie die Jugendseite. «Ich nahm einfach Kontakt auf, dann durfte ich an einer Sitzung teilnehmen.» Ein wegweisender Schritt in Flavias Karriere. Schliesslich lernte sie die ersten Journalist:innen kennen, was ihr ermöglichte, ihr berufliches Netzwerk aufzubauen. «Das klingt jetzt alles sehr cool und so. Für mich war diese Zeit aber nicht immer einfach. In der Zeit bei der Berner Zeitung war ich sehr still und unsicher. Ich war jung und unerfahren und habe mich fast nicht getraut, mit anderen Menschen zu reden.» Doch heute hat sie diese Hürde überwunden.

Flavia bleibt trotz ihres Könnens und Wissens sehr bescheiden. Mit einem strahlenden Lächeln erzählt sie lebhaft von ihren Erinnerungen an ihre ersten journalistischen Erfahrungen. Im Gespräch erfahren wir jedoch, dass in den Anfangszeiten nicht immer alles ein strahlendes Lächeln hervorbrachte. Sie berichtet, dass ihr unter anderem eine Therapie geholfen hat, mehr Sicherheit zu finden, was sowohl ihrer beruflichen als auch ihrer persönlichen Entwicklung zugutekam. Doch ihre Selbstkritik lässt sie nicht ganz los, so stelle sie manchmal immer noch ihre Fähigkeiten in Frage. Sie schätzt das Privileg, frei von Diskriminierungserfahrungen aufgewachsen zu sein, doch sie zweifle manchmal an, ob sie in der Lage sei, Ungerechtigkeiten richtig zu erkennen und ihrer Verantwortung im Beruf gerecht zu werden. Bei solchen Zweifeln sucht sie den Austausch mit anderen. Es beruhigt sie zu hören, dass auch ihre älteren und erfahrenen Team-Kolleg:innen manchmal zweifeln. Die Erkenntnis, dass es allen Menschen so geht, ist manchmal ganz schön für Flavia. Sie lächelt bei dieser Aussage. 

Erfahrungen im Berufsleben als Journalistin
Als Teenagerin wuchs Flavia langsam in die Rolle der Journalistin. Alles durch ihre eigene Motivation, ohne in diese Richtung einen akademischen Weg einzugehen. Sie zeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, als Journalistin erfolgreich zu werden. Flavia hat ihr Hobby und ihre Interessen zum Beruf gemacht. So arbeitet sie mit einem 50%-Pensum bei der Hauptstadt. Sie schätzt, dass sie dort meistens die Möglichkeit erhält, den Themen nachzugehen, die sie interessieren. Bedingung sei, dass es die Stadt oder die Agglomeration Bern betreffe. 

Ab und zu sind es politische Themen und damit des Öfteren auch Klimathemen. Flavia ist der Meinung, dass die Klimakrise in den Medien zu wenig Präsenz hat, obwohl sie mit vielen anderen Themen zusammenhängt und eine Dringlichkeit hat. Ein spannenden Beispiel zu diesem Thema ist ihr Artikel Der Gerichtssaal als Protestbühne über die Klimaaktivist:innen aus Bern. Sie beleuchtet dabei die Aktionen der Klimaaktivist:innen aus Bern während der Protestaktion Rise up for Change. Dabei wurden einige Aktivist:innen verhaftet und mit Strafbefehlen belegt. Sie schreibt über die Strategien der Aktivist:innen vor Gericht. 

Flavia versucht, über verschiedene Zugänge über die Klimakrise zu berichten, das Thema ist für sie nämlich ein grosses Anliegen. Im Februar 2024 schrieb sie ein Portrait über Athina Dill. Dill kombiniert Kultur und Musik mit der Klimakrise. Sie studierte Jazz und Schlagzeug an der HKB. In ihrer Bachelorarbeit vertonte sie das Schmelzen von Gletschern musikalisch. Wohin gehen die Gletscher? heisst der Titel ihres Konzerts. Neben ihrem Studium engagiert sich Dill in der solidarischen Landwirtschaft. Sie zeigt, dass das Klima Thema in vielfältiger Weise in unser alltägliches Leben integriert werden kann. 

Stimmungen und Empfindungen in der bisherigen Karriere
Von den Jugendmedien zum Thuner Tagblatt, zur Berner Zeitung weiter bis zur unabhängigen Hauptstadt. Nicht zu vergessen ist, dass Flavia die meiste Zeit nebenbei studierte und ab und zu als Freelancerin arbeitete. Sie schrieb für die Wochenzeitung WOZ, für die Republik. Als Freelancerin sei sie oftmals auch der Schwierigkeit begegnet, sich alleine zurechtfinden zu müssen. Vor allem in der Anfangszeit ohne ein grosses Netzwerk sei es nicht einfach gewesen. Doch sie konnte in dieser Zeit viel lernen. Anfänglich war sie verunsichert, wenn sie von einer Redaktion Texte voller rot leuchtender Korrekturen zurückerhielt. Diese Zweifel liessen nach einem Gespräch mit, Christof Gertsch, ein Journalist, dessen Arbeit Flavia inspiriert, nach. Er arbeitet beim Tagimagi und schreibt aufwändige und spannende Portraits. Sie schrieb ihm eine Nachricht und fragte, ob sie zusammen einen Kaffee trinken gehen könnten. Sie freute sich über seine Zusage und erzählte ihm, wie die roten Korrekturen sie manchmal belasten. Er zeigte ihr daraufhin seine eigenen Texte, ebenfalls voller roter Markierungen. «Das war eine Erleichterung», sagte Flavia. «Ich sah ihn damals als Vorbild, und zu erkennen, dass es bei ihm genauso aussieht, tat mir gut.»

Ausserdem empfiehlt Flavia den Verein Junge Journalist:innen Schweiz, der für sie seit Beginn ihrer journalistischen Tätigkeit sehr wichtig ist. An Vereinsanlässen knüpfte sie neue Kontakte in ihrer Branche, lernte neue Arbeitsweisen kennen und erhielt Tipps von Profis mit auf den Weg. «Ich hatte zum Beispiel die Gelegenheit, für eine neue Zeitung zu arbeiten, weil ich auf einer Veranstaltung eine Journalistin traf, die dort beschäftigt war.» Sie konnte sich mit anderen angehenden Jouranlist:innen austauschen, Texte gegenlesen und über gemeinsame Probleme reden. Flavia ist dankbar für die Freundschaften, die sich damals bildeten und die bis heute für sie sehr wertvoll sind.

Journalismus, Rechtsanwältin oder beides?
Flavia zeigt einen vielfältigen Karriereweg, trotzdem scheint ihre Neugierde und Wissenshunger noch lange nicht gesättigt. Zunächst plant sie ein Gerichtspraktikum zu absolvieren. Die Option auf das Schreiben der Anwaltsprüfung bleibt ihr im Hinterkopf. Wo sie in Zukunft ihren beruflichen Fokus legen wird, zeigt sich noch. Durch ihre Motivation werden ihr bestimmt einige Türen offenstehen. 

Während dem Gespräch mit Flavia merken wir, wie ihre Motivation auf uns abfärbt und fragen nach allgemeinen Tipps für Berufseinsteigende. Angehenden Journalist:innen möchte sie mit auf den Weg geben: «Wenn man sich in einem Thema unsicher fühlt und noch nicht weiss, wie darüber berichten, kann es sich lohnen, ein Hintergrundgespräch mit Expert:innen zu vereinbaren. Wir dürfen immer Fragen stellen, das ist das Schöne an unserem Beruf!» und ausserdem sagt sie auf gut Berndeutsch: «Eifach mache.»